Tod und Trauer aus der Tabuzone herausholen

Treff WB Zimmermann 20221024 3Bild: Thomas EmonsAutor: Thomas Emons (24. Okt. 2022)

Weihbischof Wilhelm Zimmermann traf sich im Rahmen seiner Visitation zum Gedanken- und Erfahrungsaustausch am 24. Okt. 2022 mit einem ökumenischen Kreis ehrenamtlicher Trauerbegleiterinnen und Trauerbegleiter, zusammen-geschlossen im TrauerNetzMülheim.

Mülheim. In den letzten Oktobertagen, auf die der November mit Allerheiligen, Allerseelen und dem Volkstrauertag folgt, besucht Weihbischof Wilhelm Zimmermann einen ökumenischen und ehrenamtlichen Kreis von Männern und Frauen aus der katholischen und der evangelischen Stadtkirche. Er tauscht sich mit ihnen über ihre Erfahrung in der Trauerbegleitung aus.

„Ich kann Sie nur beglückwünschen und ermutigen, in Ihrer Arbeit fortzufahren. Die Art ihrer ökumenischen und gemeindeübergreifenden Netzwerkarbeit ist beispielhaft. Ich freue mich deshalb, dass ich als Botschafter des Bistums die Impulse, die Sie mir heute gegeben haben, in andere Stadtkirchen hineintragen kann“, sagt Zimmermann nach einem zweistündigen Gespräch im Gemeindesaal der 2007 zur Urnenkirche umgewandelten Heilig-Kreuz-Kirche an der Tiegelstraße im Stadtteil Dümpten. „Es fühlt sich gut, dass ich heute zunächst eine Kindertagesstätte besucht habe und jetzt einen ehrenamtlichen Kreis, der sich in der Trauerbegleitung engagiert. Das macht mir noch einmal deutlich, dass wir als Kirche in der Seelsorge nicht nur dort präsent sein müssen, wo das irdische Leben pulsiert, sondern auch dort, wo es mit dem Tod endet“, sagt Zimmermann.

Die Selbstzeugnisse der ehrenamtlich Mitarbeitenden sind beeindruckend, wenn sie berichten, mit welcher Vielfalt sie sich dem Thema Tod und Trauer widmen. Unter anderem mit dem Hinweis auf Eltern, die ihre Kinder nicht zu Beerdigungen mitnehmen wollen und auch deren Teilnahme an einer Friedhofsführung, mit der Kitagruppe oder mit der Schulklasse, weil sie ihnen „das nicht zumuten möchten“, wird in der Diskussion deutlich: Tod und Trauer werden in unserer Gesellschaft immer noch tabuisiert.

Dagegen setzen die ökumenischen Netzwerker das auf Hinterbliebene und Trauerende Zugehen. Sie wollen mit ihrem Angebot des begleitenden Gesprächs trösten und damit ganz praktisch christliche Nächstenliebe praktizieren. Im ökumenischen Netzwerk der Mülheimer Trauerbegleitung verbinden sich Frauen und Männer aus unterschiedlichen: Ingenieure und Kaufleute sitzen ebenso mit am Tisch wie Psychologen, Seelsorger und Verwaltungsmitarbeiter. Manche stehen noch aktiv im Berufsleben. Andere befinden sich bereits im Ruhestand.  Andrea Guntermanns Bericht über die ehrenamtliche Begleitungsarbeit des Ambulanten Hospizes zeigt, dass Trauer- und Sterbebegleitung in der Ruhrstadt bereits seit Mitte der 1990er Jahre ein Thema sind.

Das ökumenische Netzwerk der Trauerbegleitenden bietet zum Beispiel Trauercafés, Trauergespräche auf Friedhöfen, Gedenkgottesdienste und zielgruppenorientierte Workshops an. Denn jeder Tod und jede Trauer sind anderes, je nachdem, ob um Eltern, Großeltern, Ehepartner, Kinder oder Geschwister getrauert wird.

Bernd Heßeler kam durch sein Engagement als ehrenamtlicher Beerdigungsleiter zum Kreis der Trauerbegleiter, weil er sich immer wieder gefragt hat: „Wie geht es mit den Hinterbliebenen, die um ihren Verstorbenen trauern, nach der Beisetzung weiter?“

Natürlich machen auch eher skurrile Geschichten die Runde, etwa über die Frau, die einen Beerdigungstermin mit dem Hinweis ablehnte: „Da habe ich gerade Fußpflege!“ oder die traurige Geschichte über den kleinen Jungen, der bei einer Trauerfeier sein Plüschtier in die brennenden Kerzen am Sarg seiner Großmutter warf, während seine in Scheidung lebenden Eltern darüber stritten, wer sich denn nun um den Jungen kümmern und ihn beruhigen sollte. Rolf Völker, ebenfalls ehrenamtlicher Beerdigungsleiter, erinnert sich an eine versöhnliche Trauererfahrung. Ein Sohn weigerte sich zunächst die Urne mit der Asche seiner Mutter selbst zur Steele am Altar zu tragen. Dann machte er es aber doch und berichtete dem Beerdigungsleiter später: „Da hat sich für mich ein Kreis geschlossen, in dem ich meine Mutter, die mich ins Leben hineingetragen hat, jetzt aus ihrem irdischen Leben hinausgetragen habe.“

Weihbischof Zimmermann und sein Referent Dr. Detlef Schneider-Stengel hören nicht nur interessiert zu. Sie berichten auch über ihre eigenen Erfahrungen mit Tod und Trauer. Zimmermann berichtet zum Beispiel über seine kürzliche Teilnahme an einer „wunderbar naturverbunden und würdigen Beisetzung im ehemaligen Gelsenkirchener Löwenpark, der heute als Friedwald genutzt wird. Der Weihbischof erinnert sich auch an das Begräbnis seines 1962 verstorbenen Vaters. Er sei zunächst zuhause aufgebahrt worden, damit sich die Trauernden von ihm verabschieden konnten. Und anschließend sei die Trauergemeinde, deren männliche Teilnehmer Zylinder trugen, einer Sargkutsche gefolgt, mit der der Verstorbene in die Pfarrkirche gebracht worden sei. „Wir gingen durch die Straßen unseres Stadtteils“, erzählt Zimmermann: „Und selbstverständlich wurde für den Trauerzug die Straßenbahn angehalten.“

Zimmermanns Referent berichtet von seinen Erfahrungen mit der Einrichtung eines Trauercafés und verweist als Bistums-Beauftragter für den interreligiösen Dialog darauf hin, „dass es in den Weltreligionen ganz unterschiedliche Bestattungskulturen gebe.“ So kenne der Islam und das Judentum nur die Erdbestattung, während im Hinduismus die Feuerbestattung die Regel sei. „Früher sagte man in der katholischen Kirche: ‚Der Mensch geht als Ganzes zu Gott und muss deshalb auch mit seinem ganzen Leib in einem Sarg beigesetzt werden. Aber ich will die Bestattungskultur theologisch nicht hochhängen. Die pastorale Praxis muss sich hier der sozialen Wirklichkeit anpassen“, betont Zimmermann.

Mit der evangelischen Pfarrerin und Trauerrednerin, Anke Dudek, ist sich Zimmermann darin einig, „dass Eltern beizeiten ihre eigenen Kinder in die Planung ihrer Beisetzung einbeziehen sollten, statt sie postum, etwa mit dem Wunsch nach einer anonymen Beisetzung unangenehm zu überraschen.“

Krankenhaus-Seelsorger Berthold Boenig stellte als Koordinator des TrauerNetzMülheim im Gespräch mit dem Weihbischof auch den Thementag rund um Tod und Trauer vor, den man am 22. April 2023 mit Referaten, Workshops, Musik und einem Markt der Möglichkeiten auf dem Kirchenhügel zwischen Petri- und Marienkirche veranstalten möchte, wenn man denn genug Sponsoren findet, um dieses öffentlichkeitswirksame und bewusstseinsfördernde Projekt auch finanzieren zu können.

Weihbischof Zimmermann und sein Referent Schneider-Stengel nahmen auch den von der Pädagogin Stefanie Hecke vorgetragene Bitte mit, auf der Bistumsebene „nach einem Topf zu suchen, aus dem die ehrenamtlichen Trauerbegleitenden ihre Kursgebühren für ihre Aus- und Weiterbildung erstattet bekommen könnten.“ Es könne doch nicht sein, so die Mitarbeiterin des Katholischen Bildungswerkes Mülheim/Oberhausen, „dass Menschen, die für unsere Gesellschaft etwas Gutes tun wollen, dafür auch noch bezahlen müssen!“

INFO: Als Ansprechpartner der Ökumenischen Trauerbegleitung Mülheim an der Ruhr, stehen unter anderem: Andrea Schlüter (Tel.: 0208-380093), Christoph Pfeiffer (Tel.: 0208/-43909274), Martin Bader (Tel.: 0208-5943788) und Bernd Heßeler (Tel.: 0208-30169835) bereit, für das TrauerNetzMülheim Berthold Boenig (Tel.: 0208-30542872. - Weitere Informationen zum Thema findet man auch im Internet unter: www.-kirche-muelheim.de sowie unter: www.mariae-himmelfahrt-mh.de